Ideen Erfahren 2024

Vom 3. – 10. August 2024 durfte ich eine Woche lang Orte des Wandels im bayerischen Alpenvorland mit dem Fahrrad erfahren. Der Verein Ideen³ organisiert bereits seit 2010 Wandeltouren, um Projekte, Orte und Menschen auf dem Fahrrad zu erfahren, die sich für eine lebenswerte Zukunft einsetzen. In einer Gruppe von circa 20 Personen allen Alters, von 2 bis über 70, konnten wir intensive Verbindung erfahren, Wandelimpulse aufnehmen und weitergeben, im ökologischen, ökonomischen, sozialen sowie kulturellen Bereich.

Daniel Bogner-Haslbeck war 2024 zum ersten Mal bei Ideen erfahren dabei und hat diesen wundervollen Bericht auf linkedin.com veröffentlicht und uns erlaubt, diesen auch hier zu teilen.

Mit dem Fahrrad und Ideen³ im bayerischen Alpenvorland

Selbstorganisation und Mitgestaltung war angesagt, egal ob beim Kochen, Zelten oder bei der Streckenplanung. Die zahlreichen Räume für Selbsterfahrung und Reflexion haben alle Teilnehmenden auf ihre ganz persönliche Art und Weise bereichert. Für mich war es eine ganz besondere Zeit: Urlaub, Weiterbildung, Gemeinschaftskultur, Naturerfahrung, Sport, Erholung, Persönlichkeitsentwicklung und noch viel mehr – alles in einem. Insgesamt legten wir dabei circa 200 Kilometer und 2.000 Höhenmeter durch Oberbayern und das Allgäu zurück.

Tourverlauf – Planung mittels Komoot

An unseren Tourstationen haben wir uns mit einer Vielfalt zukunftsweisender Themen beschäftigt. Entscheidend war stets, dass Menschen die Initiative ergreifen, ausgetretene Pfade verlassen und neue Formen des Lebens und Wirtschaftens ausprobieren. Die Lösungsvielfalt und die dahinterstehenden Erfinder:innen-Biografien waren pure Inspiration und haben meine Augen leuchten lassen. Es drehte sich dabei unter anderem um ökologische Landwirtschaft, Permakultur, alternatives Wirtschaften, Kulturprojekte, Leben in Gemeinschaft, Naturschutz & Naturverbindung.

Karte der besuchten Initiativen und Unternehmen

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Tag 0 – Anreise und Organisation

Los ging es für alle Teilnehmenden am Samstag den 3. August – mit der Anreise zum Biohof Grenzebach in Hochstadt (bei Weßling) im Landkreis Fürstenfeldbruck. Das Organisationsteam der Radtour hatte sich bereits in den Vortagen eingefunden, um den letzten Feinschliff der Tourvorbereitung abzuschließen. Für mich war diese Tour ein Heimspiel, da ich die circa 40 Kilometer zum Startpunkt direkt von zu Hause mit dem Rad anfahren konnte.

Im Voraus waren mir und den anderen Teilnehmenden lediglich der Start- und Zielort bekannt – der Streckenverlauf war noch „geheim“. Bekannt war zudem, dass wir täglich meist zwischen 20 und 80 Kilometern Strecke zurücklegen. Vor dem Startschuss haben wir außerdem ein informatives, digitales Willkommenspaket, bestehend aus Packliste, praktischem Wissen rund um die Organisation, dem Verlauf eines typischen Radtourtages und der Einladung zur Vernetzung zugeschickt bekommen. Eingeladen zum Mitfahren war jede Person, die

  • innerlich und äußerlich in Bewegung kommen möchte,
  • motiviert ist, eine Woche lang Pfade des Wandels im Voralpenland zu entdecken,
  • sich mit Gleichgesinnten auf den Weg machen & Gemeinschaft erleben möchte,
  • ein verkehrstüchtiges Fahrrad zur Verfügung hat, auf dem sie sich mehr oder weniger sicher fühlt,
  • zwischen 18 und 99 Jahren alt ist,
  • und Lust auf eine gute Portion Abenteuer hat!

Im Vergleich zu bisherigen Ideen Erfahren Touren war die diesjährige Reise besonders niederschwellig gestaltet, um Menschen allen Alters und unterschiedlicher Kondition die Möglichkeit zur Teilnahme zu bieten. So gab es unter anderem ein Begleitfahrzeug, mit dem bis zu drei Personen und einige Fahrräder transportiert werden konnten. Das Fahrzeug fuhr in wechselnder Besetzung und ermöglichte somit allen Menschen, sich sowohl aktiv zu bewegen oder auch zu erholen. Auch die Dauer und der Zeitraum der Tour von einer Woche war so gewählt, sodass diese auch für Berufstätige mit einer begrenzten Anzahl an Urlaubstagen keine zu große Hürde darstellte.

Gefunden hat sich eine vielfältige, generationenübergreifende Gruppe von circa 20 Personen, von Familie mit Kind, über Vater und Tochter, alte Freunde und „neuen Hasen“. Mit Schoko hatten wir auch einen Hund an Bord, der auf seine Art und Weise für eine lockere und belustigende Atmosphäre sorgte. Auch was die Fahrräder angeht, waren wir äußerst divers ausgestattet: Vom Rennrad über Gravel- und Tourenfahrräder, Alltags-Stadtfahrräder bis hin zu Liegerädern.

Wege, Wetter und Kulisse – alles einwandfrei

Übernachtet haben wir die ganze Woche lang in Zelten. Nach dem Zeltaufbau und einem freudigen Willkommens-Abendessen lüftete das Orga-Team die ersten Details zur bislang „geheimen Tour“. Es wurde dabei stets nur die Planung für den nächsten, maximal den übernächsten Tag angekündigt. Ich hatte großes Vertrauen in das Organisationsteam, bestehend aus Carla + Imke. Beide haben mehrjährige Erfahrung in der Tourorganisation, und gestalten Räume für Entwicklung zu verschiedenen Themen und für Menschen unterschiedlichen Alters. Unterstützt wurden die beiden durch Sylvain und Martina. Es gab somit vier Menschen, die sich unterschiedlichen Aufgaben widmeten: Tourvorbereitung, Routenplanung, Kommunikation mit Partner:innen, Essensversorgung, Budgetplanung, Anleitung zur Selbstorganisation der Gruppe, und vieles mehr.

Aufgrund der Vielzahl an notwendigen Aufgaben wurden mit der Vorstellung des Tagesprogramms für den jeweils nächsten Tag stets einige Hüte verteilt: Wechselnde Verantwortlichkeiten und Teams kümmerten sich so die ganze Woche über um die Vorbereitung der Mahlzeiten, den Abwasch, Einkauf, Aufräumarbeiten und ganz wichtig: Das „Zeitschweinderl“ bzw. das „Zeitengerl“ – um stets die Uhrzeit und Tagesplanung für alle im Blick zu halten.

Tagesprogrammplanung und Aufgabenverteilung

Tag 1 – Kennenlernprozess, Biohof Grenzebach + Öko & Fair

Nach einer Nacht mit heftigem Gewitter krochen wir morgens aus unseren Zelten, um uns gemeinsam bei einem vielfältigen Frühstücksbuffet mit Porridge, Brot, Aufstrichen und selbstgemachten Marmeladen zu stärken. Der Vormittag von Tag 1 war dem Kennenlernprozess der Gruppe gewidmet:

Kennenlernprozess der Gruppe

Unseren Auftakt machten wir im Seminarraum, einem ehemaligen Kuhstall. Die Familie Grenzebach hat diesen in Eigenleistung mit natürlichen Materialien wie Holz und Sumpfkalkputz zu einem Wohlfühl-Saal umgebaut. Angeleitet durch das Orga-Team bewegten wir uns alle durch den Seminarraum, zuerst jeder für sich, dann in immer größer werdenden Teams und Gruppen: In Zweier-Teams durften wir uns begegnen und von unserem eigenen Fahrrad schwärmen, zu dritt uns gegenseitig mit unseren Daumen begrüßen, zu viert einen Team-Gemeinschaftsnamen aus unseren Vornamen kreieren und schließlich in einer großen Gruppe im Augenkontakt mehr von unseren Mit-Radler:innen erfahren. In einer akrobatisch-kreativen Übung bauten wir anschließend Fahrräder aus Menschen. So unterschiedlich, wie die einzelnen Menschen und Gruppen waren, so verschieden sahen die Fahrrad-Konstruktionen aus, welche gebildet wurden.

Ein Aufstellungsprozess nach unseren Herkunftsorten führte zu weiterem Kennenlernen: Und siehe da, die Teilnehmer des Ideen Erfahren Radteams 2024 waren aus ganz Deutschland und sogar darüber hinaus angereist, um Teil dieser Tour zu sein. Eine Aufstellungslinie zur persönlichen Einschätzung der eigenen Erfahrung mit Ideen Erfahren und Gruppen-Radtouren zeigte, dass wir auch hier völlig unterschiedliche Erfahrungslevel aufwiesen. Ein Teil der Gruppe war schon häufig mit dem Fahrrad auf längeren Touren, auch in Gruppen sowie mit dem Verein Ideen3 unterwegs gewesen, für andere, mich eingeschlossen, war das ein gänzlich neues Format. Zuletzt stellten wir uns noch nach der Frage auf, wie bayerisch wir uns fühlten – und auch das brachte spannende Einblicke und Impulse. Ob sich dieses Gefühl nach der Tour wohl bei der einen oder anderen Person verändert hat?

Dann bildeten wir Buddy-Teams, um die Gruppe zusammenzuschweißen und während der ganzen Woche eine Bezugsperson für ein Gespräch und persönliche Anliegen zu haben. Mit unserem Buddy beantworteten wir im Dialog in Form einer Dyade die Fragen, was uns in Bewegung bringt – und welche Erwartungen und Befürchtungen (in Bezug auf die Ideen Erfahren Tour) wir mit uns tragen.

Anschließend kamen wir im Kreis zusammen und wurden durch einen Willkommenstext dazu eingeladen, die kommenden Woche gemeinsam in einer Kultur der Fürsorge miteinander zu verbringen. Es wurde sehr klar, dass es hier keine „Chefs“ gibt und dass alle Teilnehmenden zur Mitorganisation einer gelungenen Tour eingeladen sind und auch gebraucht werden. In einer abschließenden Bedürfnisrunde widmeten wir uns den Fragen: Was sollten die anderen von mir wissen? Was ist mir wichtig? Dadurch konnten wir gleich zu Beginn mögliche persönliche Schattenseiten preisgeben oder Anliegen thematisieren, um Spannungen und Konflikte im Verlauf der Woche zu reduzieren. Durch das Äußern von Themen wie beispielsweise Rauchen/Nicht-Rauchen und den unterschiedlichen damit verbundenen Bedürfnissen (saubere Luft atmen etc.) wurde der Boden bereitet für einen äußerst wertschätzenden Umgang miteinander und alle Stationen der gemeinsamen Tour.

Öko & Fair Umweltzentrum Gauting

Am Nachmittag machten wir unsere erste kleine Fahrradtour. In Kleingruppen ging es vom Biohof Grenzebach in das zehn Kilometer entfernte Gauting, zu Christiane und Karl-Heinz von Öko & Fair. Christiane erzählte uns leidenschaftlich von ihren jahrzehntelangen diversen Nachhaltigkeits-Aktivitäten in der Region und darüber hinaus. Öko & Fair ist ein Pionier der biologischen und fairen Catering-Versorgung von Kindergärten im Landkreis Fürstenfeldbruck und rund um München. Das Bewusstsein für Fair Trade wurde maßgeblich von Christiane in der Region mitgeprägt, nach dem Motto „Ich bin Konsument – ich fairändere die Welt.“ Auch ihren Beitrag zum Gemeinwohl hat Öko & Fair im Jahr 2019 erfasst, mithilfe der Gemeinwohl-Kompaktbilanz der Gemeinwohl-Ökonomie.

Heute betreibt oder initiiert Öko & Fair eine ganze Reihe von Projekten, so unter anderem ein Repaircafé, einen Fahrradverleih und Carsharing, das Anlegen eines essbaren Gartens, Brotback- und Imkerkurse, Lehrgänge zur Permakultur, Tauschbörsen für Pflanzen oder Bücher sowie einen Filmverleih und Filmgespräche. Die Zusammenarbeit mit anderen Initiativen und Organisationen wird dabei gesucht und gelebt: So werden Insektennistwand-Baukurse mit dem BUND Naturschutz oder Familien-Wochenend-Projekte angeboten und das faire My Boo Bambus-Fahrrad aus Ghana angepriesen. Kooperiert wird unter anderem auch mit dem Verein Pro Longo maï, welcher sich für den Aufbau und die Unterstützung solidarischer Gemeinschaften in Berg- und Randregionen einsetzt.

My Boo – erstes Fairtrade Fahrrad

Mit Herzblut erzählte uns Christiane auch von ihrem Engagement in der Flüchtlingshilfe im italienischen Dorf Riace, dem „Dorf des Willkommens“ wo Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen werden. Zudem zeigte sie uns anhand von Tomatenprodukten (Tomatensoße etc.) auf, welche Wahl wir bei jedem Einkauf in den Händen halten. Entscheiden wir uns für ein „Billigprodukt“, werden dafür häufig Mensch und Natur, bei Anbau, Ernte, Verarbeitung und Transport ausgebeutet. Tomaten-Produkte unter dem Claim “People before Profit” gibt es unter anderem von No Cap. Der Name No Cap bezieht sich auf die skrupellosen Vermittler, sogenannte Caporali, die in Süditalien unter Migrantinnen und Migranten Tagelöhner für Landwirtschaftsbetriebe rekrutieren. No Cap engagiert sich für Arbeitsrechte, gegen Ausbeutung und mafiöse Strukturen. Im Hofladen erwarben wir vor unserer Abreise noch eine Palette der No Cap Passata für den Verlauf unserer 7-tägigen Tour.

Ein neues Projekt, welches gerade am Entstehen ist, soll bio-fairen Orangensaft aus Italien produzieren und nach Deutschland bringen. Denn Christiane verdeutlichte, dass es derzeit äußerst schwer ist, einen Orangensaft zu kaufen, welcher sowohl fair gehandelt als auch ökologisch ist. Meist kommen die hierzulande verkauften Orangensaft-Tetrapaks aus Orangen im Plantagenanbau Südamerikas – während in (Süd-)Europa das reife Obst von zahlreichen Bäumen einfach herunterfällt und verfault. Hier sieht sie Potenzial: Für ein besseres, anderes, ökologisches, faires und ökonomisches Produkt. Wo ein Wille, da ein Weg!

Bio einkaufen und fair. Wie geht denn das am besten? Und dann auch noch regional, saisonal und unverpackt. Alles ist nicht immer möglich – und das eine geht nicht unbedingt direkt mit dem anderen einher – oder widerspricht sich sogar. Und möglichst pflanzenbasiert, für das Klima, für die menschliche und planetare Gesundheit? Auch darüber debattierten wir bei Öko & Fair. Wie unterschiedlich die Qualität und Wertschöpfungskette von Bio-Produkten aussieht, das zeigt sich unter anderem an den Kosten und Preisen – wobei sich Kosten und Preise teilweise erheblich unterscheiden können. Von Christiane erfuhren wir, dass jedes Jahr circa zehn Bauernhöfe in der Region ihren Betrieb einstellen, häufig, weil sie sich wirtschaftlich nicht mehr über Wasser halten können. Gleichzeitig gibt es im Landkreis Fürstenfeldbruck die beiden am meisten frequentierten Aldi-Supermärkte Deutschlands. Auch diese verkaufen Bio-Produkte, zu einem deutlich niedrigeren Preis, als es lokale Landwirte können. Wie fair sind die Aldi-Bio-Produkte und wo kommen diese her? Christiane lud uns ein, dies zu hinterfragen. Sie selbst macht sich stark für die Unterstützung lokaler Landwirte und den Verkauf derer Erzeugnisse.

Genussfähigkeit beim Apfel-Brombeerkuchen

Sehr lebhaft erzählte Christiane uns auch von ihrem Kampf gegen die Gentechnik. Laut Umfragen sind 80 % der Menschen gegen Gentechnik. Doch im Gespräch mit Menschen erlebt Christiane hier häufig eine kognitive Dissonanz: Die Menschen sind zwar gegen Gentechnik, kaufen aber dennoch konventionelle Produkte im Supermarkt, welche Gentechnik fördern. Wie mafiös es in der Industrie rund um Gentechnik, Saatgut, Pflanzenbau und Gifte zugeht, das hat der Landwirtschaftsmeiser Gottfried Glöckner in seinem Buch „Mördersaat: Biowaffe Gentechnik“ eindrücklich beschrieben. Da das Buch im Hofladen und auch bei meinen sonstigen üblichen fairen oder gebraucht-Waren-Anbietern von Büchern nicht mehr vorrätig war, habe ich tatsächlich meinen seit vier Jahren verstaubten Amazon-Account reaktiviert, um mir dieses Buch zu bestellen. Eine Lektüre in ähnlicher Richtung, welche ich kürzlich bereits gelesen habe, ist das Buch „Gift und Wahrheit“ von Alexander Schiebel, welches von einem mutigen kleinen Dorf in Südtirol und einer machtvollen Agrarlobby handelt, vom lukrativen Geschäft mit Pestiziden auf Apfelplantagen, von Einschüchterungsversuchen und -klagen. Liest sich wie ein Krimi – aber leider real.

Christiane gab uns einen Eindruck aus ihrem Einsatz mit ganzer Kraft für eine bessere Welt, durch Aktivismus und durch Anpacken, einfach tun! Ihr Hofladen gibt einen Eindruck von dieser jahrzehntelangen Reise des Widerstands gegen Konsum, gegen Ausbeutung, gegen Zerstörung von Natur. Es ist kämpferisch, und auch verbindend. Ein Ort, wo viele Impulse zusammenkommen. Für mich bleibt ein Eindruck der Zuversicht durch die vielen kleinen und großen Projekte des Gelingens, welche hier initiiert oder verbreitet werden. Außerdem bleibt ein Geschmack von frischem Apfel-Brombeerkuchen mit Früchten aus dem Bio & Fair Garten, der uns von Karl-Heinz serviert wurde: Ein purer Genuss – und Genussfähigkeit ist schließlich auch eine tragende Säule von nachhaltigem Leben, wie es Marcel Hunecke in seinem Buch „Psychologie der Nachhaltigkeit“ darlegt.

weiterführende Links:

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Demeterhof Grenzebach, Hochstadt

Christine und Norbert Grenzebach führen uns über ihre Wiesen

Die ersten beiden Nächte verbrachten wir auf dem Biohof der Familie Grenzebach, einem bäuerlichen Familienbetrieb, der seit 1989 nach den biologisch dynamischen Richtlinien des Demeter-Verbandes bewirtschaftet wird. Eine naturnahe und wesensgerechte Bewirtschaftung liegt der ganzen Familie am Herzen – dieses Anliegen wurde mehr als deutlich bei unserem Aufenthalt. Bereits am Abend unserer Ankunft erzählte Biobauer Norbert bei unserem Abendessen von seiner Leidenschaft für das Land, die Tiere, die Pflanzen und den Boden. Am Tag darauf erhielten wir zudem eine Führung über einen kleinen Teil seiner Wiesen, die von seltenen Rinderrassen beweidet werden.

Norbert gab uns einen Einblick in die Regulation der Natur, welche stets für ein natürliches Gleichgewicht sorgt, so auch bei unter uns Menschen häufig umstrittenen Arten wie dem Biber, Kormoran oder dem Wolf. Der Wolf fördert die Vielfalt in (Wald-)Gebieten, wo noch keine oder wenig ist. Doch es gibt auch eine (natürliche) Obergrenze für die Vielfalt. Für sämtliche Arten gibt es natürliche Gegenspieler, so zum Beispiel der Luchs beim Wolf – oder auch Naturvölker, also Menschen, welche junge Wölfe entnommen haben. Norbert machte uns bewusst, dass die aktuelle Regulatorik sehr teuer ist und viel Missmut bei einzelnen Menschen hervorruft. So geht das Errichten von immer höheren Zäunen in Wolfsgebieten mit immer höheren Kosten einher. Wolfsgebiete sind außerdem irgendwann „voll“, junge männliche Tiere suchen stets nach neuen Revieren und teilweise verlieren die Tiere den Respekt vor dem Menschen, wie er anhand des Beispiels Niedersachsen erläutert. Er selbst strebt nach anderen Lösungen für ein Leben im Einklang mit der Natur und so auch dem Wolf. Die Kühe am Biohof Grenzebach haben Hörner, das macht sie wehrhaft. Ungeschützt sind somit nur die Kälber.

Die Kühe bei den Grenzebach’s haben Glocken und freuen sich darüber. Es sind keine riesigen Glocken, wie sie beim Almabtrieb getragen werden, sondern kleine, leichte Glocken. Außerdem hat nur ein Teil der Kühe Glocken – und Norbert erzählt, dass es für die Kühe wirklich eine Ehre ist, eine Glocke zu tragen. Bislang habe ich das Thema Kuhglocken eher negativ gesehen, als ein praktisches und traditionelles Brauchtum des Menschen, allerdings ohne Nutzen, Mehrwert oder gar Freude für die Kühe. Ich schenke Norbert Glauben, denn ich spüre seine tiefe Verbundenheit mit seinen Kühen. Die Kühe werden im Durchschnitt zwölf Jahre alt, einzelne bis zu 20 Jahre – Methusalems im Vergleich zur Durchschnittskuh Deutschlands, welche weniger als fünf Jahre alt wird.

Während wir den Ausführungen Norberts lauschen, wandern wir durch das natürliche Amphitheater, welches durch Gletschermoränen vor tausenden von Jahren geschaffen wurde. Norbert empfindet es als Glück, diesen Streifen Land bewirtschaften zu dürfen und drückt seine Dankbarkeit aus. 120 verschiedene Pflanzenarten wachsen auf diesem Streifen Land, darunter viele seltene Arten wie das weiße Veilchen oder die niedere Schwarzwurzel. Norbert kennt jeden Quadratmeter Land, er weiß um die Verständigung zwischen den Pflanzen, Tieren und dem Erdreich. Die Pflanzen heilen die Tiere und kümmern sich umeinander. So wächst beispielsweise der Frauenmantel mehr, wenn die Tiere dies benötigen. Durch die jahrzehntelange Beobachtung weiß Norbert, dass die Fläche in ihrer Mitte ist. So findet er es beispielsweise auch spannend, dass wir uns den Zeltplatz dort gewählt haben, wo derzeit besonders die Wegwarte, welche hohe Belastungen aushält, stark wächst.

Zeltplatz voller Wegwarte

Norbert spricht zudem von der heilsamen Wirkung der Scharben („heil allen Scharben“). So wird die Schafgarbe von seinen Rindern gebraucht, und zwar in ihren unterschiedlichen Wachstums- und Lebensstadien: Ein Drittel der Pflanzen wird von seinen Kühen im Blattstadium vertilgt, ein weiteres Drittel bleibt den Kühen für die Blütezeit und das letzte Drittel ist das Dessert im Samenstadium. So verteilt sich die Schafgarbe dann auch über die Kuhfladen und das Leben beginnt einen neuen Zyklus. Die Schafgarbe wirkt so auf ihre Art und Weise vielfältig heilsam für die Kühe – und darüber hinaus auch für Menschen, die eine solche Milch trinken.

Die Wiesen der Grenzebachs tragen vom Frühjahr bis in den Herbst hinein ein Blütenkleid. Norbert sieht es als seine wichtigste Aufgabe als Landwirt, für die richtige Beweidungsintensität zu sorgen. Eine gute Steuerung ist essenziell, dass es sowohl Herde, Pflanzen und der Erde gut geht. Auch seine Demut für das Nicht-Wissen drückt er aus: „Jede Pflanze ist für etwas gut, bei manchen weiß ich es noch nicht, wofür.“

Norbert zeigt uns die Pflanzen auf seinen Wiesen

Mehr als 100 Hektar Fläche bewirtschaften die Grenzebachs. All diese Flächen waren einmal intensiv genutzt oder in Verbuschung. Viele der Flächen wurden innerhalb weniger Jahre durch den Einsatz von Kunstdüngern zerstört. In den vergangenen 40 Jahren hat die Familie diese Flächen „renaturiert“. Viele der Flächen stehen heute auf der „roten Liste“ oder gelten über den Schutzstatus hinaus als besonders bedroht, weil sie so selten geworden sind. Die Grenzebachs haben dabei eine Vielzahl an Methoden der Renaturierung entwickelt, stets angepasst an die lokalen Bedürfnisse der Fläche. Mir kommt dazu ein Grundsatz der Permakultur in den Sinn: Erst einmal ein Jahr lang beobachten vor dem ersten Eingreifen in die Natur. Heute sind die meisten Flächen der Grenzebachs von der Bodengesundheit her so phänomenal, dass ein weiterer Humusaufbau kaum mehr möglich ist. Bei unserer Runde von Wiese zu Wiese sehen wir, wie sich die Aussage zu lebendigen Wiesen von Norbert „alles muss vor einem hochspringen“ sich bewahrheitet: Heuhüpfer und Frösche springen vor Freude – das Leben pulsiert.

Heuschrecke als Beifahrer, ganz unerschrocken

An guten Stellen wachsen auf den Hof-Flächen 50 verschiedene Pflanzen pro Quadratmeter. Norbert rechnet vor, dass das mit einer Vielfalt von bis zu 250 verschiedenen spezialisierten Insekten einhergeht. Denn pro Pflanze gibt es circa fünf Insekten, welche sich auf jeweils nur ein bis zwei Pflanzen spezialisiert haben. Im Kuhfladen finden sich weitere 300 unterschiedliche Insekten und 100 weitere im Totholz. All das bekommen wir auf unserer Führung zu sehen: Hier ein Fladen, dort ein Stück altes Holz – alles lebt!

Norbert erzählt uns, dass der Blührhythmus der Pflanzen und die Insekten eng und gut aufeinander eingestimmt sind. Gräserarten existieren hier seit hunderten von Jahren und die Insekten haben sich darauf ausgerichtet. So sieht die Flora und Fauna bereits wenige Kilometer entfernt völlig anders aus.

Ein Kuhfladen hat hier auf der Wiese nach zwei Wochen schon fast sein „Lebensende“ erreicht. Durch die Bearbeitung durch Insekten von allen Seiten und mehr als Tausend Insektenbesuche zersetzt sich dieser innerhalb kürzester Zeit. Eine Kuh liefert dabei in ihrer Weidesaison von acht Monaten eine Tonne Kuhfladen. Dies fördert wiederum die Entstehung von circa 150 kg Insektenmasse. Der Kuhfladen düngt damit den Boden kaum, sondern er stimuliert den Boden, er ist ein Balsam, ein Eckpfeiler der Natur und der Vielfalt.

Mittlerweile existieren circa 1.000 Hektar bewirtschaftete Biofläche in der Region. All dies entsteht nicht von allein, sondern durch engagierte Landwirt:innen. Kühe, welche mit Soja, Getreide, Entwurmungsmitteln und allem möglichen an nicht artgerechter Nahrung und Zusätzen gefüttert werden, geben keinen natürlichen Dung. Die Kühe der Grenzebachs verbringen einen Großteil des Jahres im Freien auf den vielfältigen Wiesen. Im Winter sind auch sie für einige Monate im Stall. Dort bekommen sie Heu und Silage aus Kleeblättern. Ungefähr ein Viertel der Flächen ist nötig für den Anbau der Rationen für diese Winterfütterung.

Klimabauer

Norbert ist auch Klimabauer: Er weiß um ein Optimum für seine Wiesen bezüglich der Pflanzenzusammensetzung, sodass die Kühe gesund sind und geringe Methanemissionen aufweisen. Ja, Kühe furzen ordentlich Methan, das werfen besonders die Veganer (zu denen ich mich schließlich auch meist zähle) der Milchwirtschaft vor. Und dazu wird viel Wissenschaft betrieben (Pflanzendrinks vs. Kuhmilch; Algen als Futterzusatz für Kühe etc.). Norbert hat hier eine sehr einfache Rechnung: Wenn seine Wiesen zu je einem Drittel aus Kräutern, Leguminosen (Hülsenfrüchtler) und Gräsern bestehen, dann stoßen seine Kühe am wenigsten Methan aus.

Die Sonne ist bereits weit hinter dem Horizont verschwunden, dennoch lassen wir uns noch von Norbert und Christine zu einer weiteren Wiese führen. Auf dieser Sumpfdotterwiese duftet es unglaublich facettenreich: Minze, Oregano, Baldrian, Orchideen. Norbert erzählt, dass das Knabenkraut sich hier so gut verbreitet über einen Pilz, der wiederum dort wächst, wo Kuhfladen vorhanden sind. Die Beweidung hilft somit der Verbreitung einer Pflanzenart, sobald diese in einer Anzahl über der kritischen Masse vorhanden ist. Einzelne Pflanzen hingegen, welche noch unterhalb einer kritischen Anzahl existieren, schirmt Norbert ab. Er zäunt diese ein, sodass diese nicht gefressen werden können. Viele Feldversuche dazu hat er bereits hinter sich. Die Betreuung dieser Pflanzen nennt er sein Hobby und das Wissen darum eine Gabe, die ihm vom Schöpfer gegeben wurde. Das Wissen, wie die Natur und der Naturschutz zurückkehrt und zwar im Einklang mit der Landwirtschaft als Ernährungsgrundlage des Menschen, ist da. Hier bei den Grenzebachs ist es ganz konkret und gelebt.

Sumpfwiese

Norbert erzählt, dass er auch einmal jahrelang Vegetarier war. Haferbrei, Gerstenbrei, Kartoffeln und Gemüse, das war die Hauptnahrung von Landwirten und es war gut so. Er fährt fort, dass die Kuh in Indien als heilig gilt aufgrund ihrer heiligen Gaben. Eine dieser Gaben sind die Kuhfladen. Auch die Milch ist Norbert heilig. Auf dem Demeter-Hof steht ein Milchautomat, der dazu einlädt, sich frische Kuhmilch von den Grenzebachs zu kaufen. Das haben wir als Radfahrgruppe auch getan und bei unserem Frühstück vor der Abreise gab es diese frische Milch. Da ich mich seit einigen Jahren weitestgehend pflanzenbasiert ernähre, war dies für mich ein ganz besonderer Moment. All das tiefe Wissen von Norbert im Kopf und das Gefühl der Führung durch die Wiesen- und Waldlandschaft, habe auch ich mir die Milch schmecken lassen. Das Erlebnis war unvergleichlich, ein wundervoll zarter und zugleich intensiver Geschmack nach Blüten und Kräutern. Der Geschmack dieser Milch verändert sich mit den Jahreszeiten. Wie die Milch wohl im Frühjahr schmeckt? Ich werde mir meine Haltung und mein Handeln als undogmatischer Flexi-Veganer beibehalten und zwar dann, wenn mich ein Tierprodukt wirklich anspricht, weil es mit Liebe von Menschen und im Einklang mit der tierischen Natur hergestellt wurde.

https://www.biohof-grenzebach.de

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Tag 2 – Starnberger See, Stiftung Kunst & Natur Nantesbuch, Kloster Benediktbeuren, KlosterGut Schlehdorf

Kopfüber am Südostufer des Starnberger Sees

Auf der zweiten Tagesetappe erwarteten uns auf rund 70 Kilometern Distanz bei bestem Fahrradwetter zahlreiche sehenswerte Stationen. Nach einer gemeinschaftlichen Zeltabbau-, Aufräum- und Putzaktion, einem gemeinsamen Lied und der Verabschiedung von unserer Gastgeberfamilie Grenzebach bildeten wir drei Fahrradteams, welche selbstorganisiert ihre Route zum KlosterGut Schlehdorf planten. Zusätzliche lohnende Aktivitäten und Orte entlang der Strecke wurden uns von unserer „Reiseleitung“ bereits am Vortag vorgestellt.

Wir folgten dem gesamten Ostufer des Starnberger Sees Richtung Alpen und ließen es uns nicht entgehen, uns im kühlen Nass zu erfrischen. Zudem besuchten wir die Stiftung Kunst und Natur in Nantesbuch und das Kloster Benediktbeuren.

Stiftung Kunst und Natur in Nantesbuch

Gut Nantesbuch

320 Hektar Moor, Wald und Wiesen im Herzen des Voralpenlands sind die Heimat der Stiftung Kunst und Natur. Die Stiftung widmet sich hier der Pflege der Landschaft und lädt ein zur Begegnung mit dem Dasein und der Kraft der Natur. Hierfür bietet der Ort Räume und interdisziplinäre Programme zur Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur sowie Natur und Landschaft. Es werden trockengelegte Moore renaturiert, einst begradigte Bäche dürfen hier wieder frei mäandern und Herden von Rindern, Pferden und Büffeln dürfen hier frei durch die Auenlandschaft ziehen. Das Gelände der Stiftung Kunst und Natur ist frei zugänglich und kann auf den vorhandenen Wegen jederzeit eigenständig oder im Rahmen des Führungsangebots erkundet werden.

Einen Teil dieser Kultur-und-Natur-Räume durfte ich erfahren: Ein Spaziergang durch den Zaunguckerlgarten führte mir die unbändige Schönheit pflanzlicher Vielfalt, gekoppelt mit menschlicher Kreativität für Gestaltung vor Augen. Gemüsebeete in Form von Hügeln und Terrassierungen wechseln sich ab mit Getreidestreifen, Sträuchern und Obstbäumen. Die Mischnutzung sorgt für ein gesundes Mikroklima und Schönheit. Bewusst wurden hier die Prinzipien der Permakultur angewendet. Nach dem Motto „Gestalte erst das Muster, dann die Details“ wurden vor der Bepflanzung zunächst die Geländebeschaffenheit eingehend analysiert und gezielt gestaltet.

Permakulturgarten

Das Veranstaltungshaus der Stiftung, das „Lange Haus“, war für uns eine architektonische Meisterleistung des Wohlfühlens. Das Haus ist normalerweise für Gäste nur im Rahmen von Veranstaltungen geöffnet. Wir hatten das Glück, dass uns zwei freundliche Herren auch außerhalb einer Veranstaltung mit Wasser und Obst willkommen hießen und uns die Möglichkeit boten, uns in den Räumlichkeiten umzusehen.

Langes Haus auf Gut Karpfsee

Das Veranstaltungsprogramm der Stiftung ist vielfältig und bietet Kulturerlebnisse unterschiedlicher Art, von Musik über Führungen, Literatur, Fortbildungen und Feste. So vermittelt das jährliche Nature Writing Seminar Bewusstsein und Wertschätzung für die Natur. Der Sternenhimmel der Menschheit zeigt verschiedene Atlanten der Sternenhimmel und Schöpfungsmythen der Menschheit, eine Silent-Disko lädt zum Tanzen, Musik hören und Sterne gucken während der Perseiden-Schauer ein, das LiteraturFest Nantesbuch – Wortachsen ist ein sommerliches Lesevergnügen mit Literatur in der Natur, das Erntefest lädt Familien zur Dankbarkeit für die Natur auf Gut Karpfsee ein und die Nantesbucher Bodentage liefern Wissen und Inspiration rund um Boden und Wasser.

Kloster Benediktbeuren

Das über 1.250-jährige ehemalige Benediktinerkloster Benediktbeuern, am Rande des Loisach-Kochelsee-Moores mitten im bayerischen Voralpenland gelegen, verbindet in besonderer Weise Tradition und Fortschritt, geistliches Leben und Gebet sowie Kultur und Natur. Seit 1930 wirken hier die Salesianer Don Boscos, eine katholische Ordensgemeinschaft, die sich weltweit im Sinne ihres Gründers Johannes Bosco (1815-1888) für junge Menschen einsetzt.

Sanierungsarbeiten am Kloster Beneditbeuren

Das Kloster Benediktbeuern ist heute ein geistliches Zentrum mit großer Ausstrahlungskraft in die Region, das zahlreiche Einrichtungen der theoretischen und praktischen Arbeit mit jungen Menschen unter einem Dach vereint – ein einzigartiges Ensemble aus Jugend- und Bildungseinrichtungen, bei dem die Bewahrung der Schöpfung eine wichtige Rolle spielt.

Die barocke Anlage zieht jährlich viele Kunst- und Kulturinteressierte aus nah und fern an. Im Bereich des Klosters bieten sich zahlreiche Besichtigungen und Führungen an. Naturkundliche Führungen des Zentrums für Umwelt und Kultur, Heilkräuterführungen, die Entdeckung des Meditationsgartens oder der verschiedenen Erlebnisbiotope bieten vielfältige Naturerlebnisse.

Am 26. August 2023 war über dem Ort und dem Kloster Benediktbeuren ein gewaltiges Hagelunwetter niedergegangen. In nur knapp 10 Minuten waren dabei Dächer, Fenster, Fassaden und Außenanlagen zum Teil vollständig zerstört worden. Seitdem werden bei einem Großteil der Gebäude Sanierungsarbeiten vorgenommen. Für uns bot das Kloster eine gelungene Pause im Biergarten bzw. Café und für einen Spaziergang über das Klostergelände.

Klostercafégarten

https://www.kloster-benediktbeuern.de

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KlosterGut Schlehdorf

Südlich von München, im Blauen Land an den Ufern des Kochelsees, haben Ordensschwestern ein Jahrhundert lang Landwirtschaft betrieben und viele junge Menschen ausgebildet. Klöster sind ein elementarer Bestandteil unserer dörflichen Kulturlandschaften und stellen alle Beteiligten regelmäßig vor große Herausforderungen, wenn es um deren Transformation geht. Die Missions-Dominikanerinnen wünschten sich genossenschaftlich organisierte Folgenutzungen, die das Gemeinschaftliche in den Mittelpunkt stellen. Die Herausforderungen bei der Transformation historischer Klöster beschreibt der Verein Zukunft Kulturraum Kloster e.V. mit seinem Wissensportal auf anschauliche Weise.

die letzten Meter zum KlosterGut Schlehdorf

Zum ehemaligen Gutsbetrieb der Schwestern zählen die großen zusammenhängenden Wiesen und Weiden rund um den Karpfsee sowie die Hofstelle unterhalb des Klosters mit dem naturnahen Garten und der Bio-Gärtnerei. Noch über 20 Missions-Dominikanerinnen sind heute im Kloster-Neubau direkt neben der Hofstelle zuhause.

Das KlosterGut Schlehdorf ist ein ökologisches und gemeinwohl-orientiertes Projekt, getragen von vielen Genossenschaftsmitgliedern, haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden und einem gemeinnützigen Verein.

Gemüsegarten KlosterGut Schlehdorf vor Alpenpanorama

Sebastian Kukula, Vorstand, Architekt und Bauplaner führte uns am Abend unserer Ankunft über das Gelände des Klosterguts. Er zeigte die verschiedenen solidarischen Ansätze auf, welche die Genossenschaft verfolgt, rund um Bildungsangebote, Werkstätten wie Töpferei, Beherbergungsbetrieb, Café, Hofladen, Gärtnerei und Landwirtschaftsbetrieb. Über 65 Hektar werden sehr extensiv bewirtschaftet, zu denen auch Biotope und ein See gehören. Viele Gebäude wurden umgenutzt, so dient der ehemalige Hühnerstall heute als Seminarraum.

Wir erfuhren auch von den finanziellen Herausforderungen und den Überlegungen rund um die Gründung einer Stiftung oder anderweitigen juristischen Person als drittem Standbein des KlosterGuts. Denn das KlosterGut ist zwar von seinen Einnahmen und Ausgaben in Balance, allerdings ist auch klar, dass aus den bestehenden wirtschaftlichen Betrieben nicht genug Überschuss erwirtschaftet werden kann, um die Last an Zinsen, Krediten und Darlehen von unterschiedlichen Seiten innerhalb der kommenden Jahrzehnte abzahlen zu können.

Abendführung am KlosterGut Schlehdorf

Während sich unsere Führung von der Gärtnerei zum Kloster dem Ende näherte, durften wir den Klängen des Chores lauschen. Es war ein wundervoller Abend. Wir dankten Sebastian für seine Geduld, denn wir hatten die Führung mehrfach nach hinten verschoben, da sich unsere Ankunft in Schlehdorf aufgrund des vollen Tagesprogramms verzögert hatte. Im Kreis erprobten wir daher an diesem Abend neue Formen der Vereinbarung (Klatschen für ein zügiges Zusammenkommen; Hand heben und Summen für Stille/Aufmerksamkeit) und dass es losgeht mit Aktivitäten wie dem Abendessen, wenn eine „kritische Masse“ da ist. Im Abendkreis ließen wir die Eindrücke des Tages in einer kommentierten Diashow Revue passieren. Einschlafen durften wir auf dem Zeltplatz zwischen den Klostergebäuden und einer Wiese mit Alpakas. Hühner liefen frei herum und schauten neugierig zwischen den Zelten hervor. Von oben grüßte der Sternenhimmel.

Alpakas neben Zelten

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Tag 3 – Rechte der Natur an der Loisach mit Claus Biegert

Morgendlicher Ausflug zum Kochelsee

Am Morgen ließ ich es mir nicht entgehen, einen kurzen Ausflug zum Kochelsee zu machen und dort nach einer Abfolge aus Körper-Übungen eine Runde in den ersten Sonnenstrahlen zu schwimmen. Faszinierend waren die zahlreichen von Morgentau triefenden Spinnennetze, welche in den Wiesen leuchteten. Nach Frühstück, Zeltabbau, Gruppen- und Tagesorganisation durften wir uns beim Warm-up-Spiel „Kuhstall“ in Bewegung versetzen und als Kühe umherlaufen und Ställe finden oder Kuhställe formen.

Spinnennetze mit Morgentau

Dann fuhren wir rund zehn Kilometer nach Mühlhagen, zum Ort, an dem die Loisach und Ramsach zusammenfließen. Dort trafen wir auf Claus Biegert, Rundfunkjournalist, Buchautor und Dokumentarfilmer, für eine Wanderung und ein Gespräch zu Naturrechten.

Von Claus erfuhren wir zunächst etwas zur historischen menschlichen Nutzung der Loisach, die knapp über 100 Kilometer zurücklegt auf ihrem Weg von Tirol bis zur Mündung in die Isar bei Wolfratshausen. So wurde unter anderem ein Triftkanal in den Abschnitten oberhalb und unterhalb des Kochelsees für den Holztransport geschaffen. Begradigungen des Flussbetts erfolgten ab dem Jahr 1900 für den Hochwasserschutz, die Moorentwässerung und zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse.

Wir wanderten mit Claus an die Stelle, an welcher Mühlbach/Ramsach in die Loisach fließen. Claus thematisierte dabei die für uns selbstverständliche Tatsache, dass Flüsse ihren Namen „verlieren“, wenn diese zusammenfließen und warf die Frage auf, wie es wohl wäre, wenn die Namen aller zusammenfließenden Gewässer in den neuen Namen einfließen würden. Eine Idee: Einfach die Flussnamen per Bindestrich zusammensetzen?

Claus Biegert an der Loisach

Claus leitete über zum Sprechen über das „Heilige“, Menschenrechte und Naturrechte. Was ist uns Menschen heilig? Worin erkennen wir „das Heilige“? Claus erzählte vom Pionier des Naturschutzes Michael Succow, der bis heute mit seiner Stiftung zum Schutz der Natur und der Etablierung von Biosphärenreservaten beiträgt. Welche Rechte hat die Natur? Welche Rechte gestehen wir der nichtmenschlichen Natur zu?

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Zusammenfluss Loisach – Mühlbach/Ramsach


Lagune Mar Menor in Spanien

Seit dem Jahr 2022 ist die Lagune Mar Menor von Murcia in Spanien das erste Gewässer mit anerkannter Rechtspersönlichkeit in Europa. Das Mar Menor, das Kleinere Meer, ist mit einer Fläche von 135 Quadratkilometern die größte Salzwasserlagune Europas. Die Salzwasserlagune musste jedoch zunächst zweimal umkippen, bevor seine Anwohner:innen ausreichend Alarm schlugen. Seit zwei Jahren haben sie dem „Kleineren Meer“ eine Stimme gegeben und wollen es als das schützen, was es für sie ist: eine geliebte „Person“.

Doch warum kam es überhaupt dazu, dass in der Salzwasserlagune Hunderttausende Fische, Seepferdchen und Muscheln sterben mussten? Und warum sind wir Deutsche mit-verantwortlich für dieses Schlamassel? In dieser Region Spaniens wächst ein großer Teil jener Tomaten, Gurken und Zitrusfrüchte, die später in deutschen Supermärkten verkauft werden. Der Anbau findet dabei auf mehr oder weniger nacktem Wüstenboden unter massivem Einsatz von Bewässerung und Düngemitteln statt. Düngemittel und insbesondere Stickstoff und Phosphor gelangen in Grundwasser, Boden, Flüsse und in die Lagune und lassen die Nitratwerte so stark ansteigen, dass das komplette Ökosystem aus dem Gleichgewicht kommt. Da weder politisch noch unternehmerisch Lösungen für dieses Problem entwickelt wurden, brauchte es die Protestaktion von Umweltschützern, die im Jahr 2021 eine Menschenkette mit rund 70.000 Teilnehmern rund um die Lagune spannten.

Umweltschützer:innen hatten zudem bereits ein Gesetz für die spanische Regierung ausformuliert, welches die Laguna Menor ausreichend schützen sollte. Dieses legten sie der Regierung vor und mit dem Momentum der Protestaktion wurde die mediale Aufmerksamkeit schließlich so groß, dass die Regierung das Gesetz unterzeichnete. Für die Einheimischen und Engagierten ein riesiger Erfolg!

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Rechte der Natur

Claus erzählte uns von der Geschichte der Naturrechte und deren Entstehung in den 1970er-Jahren, als Christopher D. Stone in den USA ein Schriftstück veröffentlichte mit dem Titel „Should Trees Have Standing?“. “Standing” ist im Englischen der juristische Begriff für das Recht, vor Gericht zu klagen. Damals zog die Umweltschutzorganisation Sierra Club erstmalig im Namen der Natur vor Gericht, und zwar gegen den Walt Disney Konzern, weil dieser dort ein Luxus-Ressort bauen wollte. In diesem Fall erzeugte die Aktion so viel öffentliches Aufsehen, dass Walt Disney einen freiwilligen Rückzieher machte, es kam zu keinem Gerichtsentscheid.

Es braucht ein starkes Umdenken, um der Natur Rechte zuzugestehen. Menschenrechte, die sind festgeschrieben, und werden dennoch häufig missachtet. Auch Unternehmensrechte und Rechte für Organisationen jeglicher Art haben wir innerhalb der letzten Generationen immer weiter in unseren Rechtssystemen verankert, häufig so weit, dass dadurch Rechte von Mensch und Natur verletzt werden. Es gibt Initiativen für neue, erweiterte Menschenrechte, wie sie beispielsweise der Jurist und Autor Ferdinand von Schirach in seinem kleinen Band „Jeder Mensch“ skizziert, um die Idee von Europa zu erneuern und zukunftsfest zu machen. Auch darin werden jedoch der Natur keine Rechte zugestanden – lediglich dem Menschen das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben.

Der Regenwald hat keinen Aufsichtsrat, die Blühwiese keine Gesellschafter, die Loisach, Donau oder der Rhein keinen Vorstand, der Atlantik keine Aktionäre, … wer vertritt unsere Ökosysteme? Wir Menschen sind Teil der Natur, untrennbar verbunden. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, zur schrittweisen Erweiterung der geschaffenen „Rechte“. In der Vergangenheit haben Menschen Sklavenrechte und Frauenrechte erkämpft und durchgesetzt. Die Rights of Nature Bewegung setzt sich nun ein für einen Rechtsstatus für nicht-menschliche Wesen.

Länder, welche der Natur dieselben Rechte einräumen wie dem Menschen, zumindest für Teile oder im Ansatz, gibt es bereits: Ecuador in seiner Konstitution (die ganze Natur hat Rechte), in Kolumbien hat ein Teil des Regenwaldes Rechte zugesprochen bekommen und in Peru sind Wellen und der Meeresboden teilweise mit Naturrechten geschützt. In Neuseeland und Polynesien sind im April 2024 zudem Wale von den Maori zu juristischen Personen erklärt worden. Auch Flussrechte gibt es bereits, und zwar in Neuseeland mit dem Whanganui Fluss und auch Bangladesch gesteht seinen Flüssen ein Recht per Gesetz zu.

Indigene Völker wie die Maori bekunden dabei, dass sie gar keine Flussrechte benötigen. Denn in ihrer Kultur ist das Wissen um die Heiligkeit der Natur ohnehin verankert und wird gelebt. Die Rechte-der-Natur-Bewegung baut demnach lediglich eine Brücke, eine Übersetzung alten Wissens auf „Neudeutsch“ für Politik, Industrie, Rechtsstaaten und Menschen des 21. Jahrhunderts, denen diese Weisheit nicht von Generation zu Generation weitergegeben wurde und gesellschaftlich abhanden gekommen ist. Claus ist davon überzeugt, dass in diesem Zuge auch das Wort Umwelt eines Tages Geschichte sein wird. Die Menschen werden sich wieder als Teil der Natur wahrnehmen und von Mitwelt sprechen. Wann wird es so weit sein? Er bemerkt, dass es beispielsweise in Äthiopien nicht wie bei uns ein Umweltministerium gibt. Dort ist jedes Ministerium verpflichtet, seinen Teil für die „Umwelt“ zu leisten.

Organisationen, welche sich für Naturrechte stark machen, gibt es zunehmend mehr, so unter anderem:

Rechte der Loisach?

Die Loisach ist wunderschön, ebenso das Murnauer Moos, und die beiden stehen in enger Verbindung miteinander. Schönheit verpflichtet und geht mit Verantwortung einher. Wer fühlt sich verantwortlich für den Erhalt der natürlichen Schönheit der Loisach und des Murnauer Mooses? Unter anderem Claus Biegert. Im Jahr 2022 sprach Claus das erste Mal von der Idee von „Rechten für die Loisach“, auf einem Wassersymposium in München. Noch im Sommer desselben Jahres stand Claus dann mit circa zehn Personen in der Loisachquelle und bekundete das Versprechen gegenüber der Loisach, sie zur juristischen Person zu machen, als erstem Fluss in Europa.

Heute engagiert sich Claus auf dreierlei Art und Weise, um in der Region das Bewusstsein für die Loisach zu stärken. Er bemüht sich um eine Flusspartnerschaft des neuseeländischen Whanganui-River mit der Loisach. Zudem plant er einen Film zu Rechten der Natur und der Loisach. Und er möchte sogenannte „Council of all Beings“ mit den Menschen vor Ort entlang der Loisach durchführen. Claus erläuterte uns die drei Projekte, während wir seinen Worten und dem sanften Fließen der Loisach lauschen durften.

Kurz bemerkt, auch beim „Nachbarfluss“ Lech regt sich eine Bewegung für Naturrechte. Einen kleinen Eindruck dazu gibt es in diesem Artikel zum 2. Wassersymposium in Landsberg am Lech: https://www.linkedin.com/pulse/wassersymposium-2024-landsberg-am-lech-wasserwende-bogner-haslbeck-g7qwf/

Claus Biegert für die Rechte der Loisach

Flusspartnerschaft Whanganui – Loisach

Diese angestrebte Flusspartnerschaft sieht Claus als einen symbolischen Akt, welcher seine Wirkung entfalten kann, wenn die Menschen entlang der Loisach dabei mitmachen. Claus erzählt, dass Menschen häufig mit zwei Extremen reagieren, wenn er von Naturrechten spricht, mit Begeisterung oder mit Angst. Ängste werden beispielsweise so geäußert, dass dann „ja jeder Baum vor Gericht ziehen kann“. Claus berichtet auch, dass ihm ein 88-jähriger Mann gezeigt hat, dass viele ältere Menschen noch einen ganz natürlichen Respekt für Rechte, für das Verhalten der Loisach haben. In Bezug auf den Umgang mit Hochwasser erzählte ihm der Anwohner: „Ja manchmal, da ist der Küchentisch schon geschwommen – und dann haben wir halt wieder aufgeräumt.“

Claus ist es wichtig, dass bei der „Trennung zwischen Zivilisation und Wildnis“ die Übergangszonen gut bedacht werden: Was verträgt sich? Wie viel Mensch und wie viel nicht-menschliche Natur an welchem Ort? Wir sollten dabei auf Orte schauen, an denen die Integration von wilder Natur und menschlichem Dasein gelingt, wie im portugiesischen Ökodorf Tamera, wo Wildschweine frei leben können.

Für das Jahr 2025 plant Claus, eine Delegation von Maori zu Gast nach Bayern zur Loisach einzuladen, für Gespräche mit Menschen, welche entlang der Loisach wohnen. Bis dahin hat er noch einiges vor sich: Bürgermeister:innen und Gemeinden informieren und für seine Ideen inspirieren. Ich drücke ihm die Daumen!

Film über Loisach und Naturrechte

Welche Rechte sollte die Loisach bekommen? Aktuell bekommt die Loisach von links und rechts Düngemittel und Ackergifte in sich hineingespült. Wie fühlt sich das wohl an? Wie viel hält die Loisach aus oder welchen Grenzwert würde die WHO als maximal zulässig definieren? Welche Bedürfnisse hat die Loisach? Und wer vertritt die Loisach in einem Rechtsfall vor Gericht? In Neuseeland sind die Fürsprecher des Whanganui River ein Team aus Regierungsvertreter und den indigenen Maori. Im geplanten Filmprojekt soll die Loisach die Hauptperson spielen, welche auf die Welt (und somit die Menschen, Natur, Firmen, Städte und Dörfer hier vor Ort) blickt. Claus hat bereits zahlreiche Ideen, wie der Film gestaltet werden kann und auch eine Künstlerin als Mitwirkende und Sprecherin des Flusses gewonnen.

Council of all Beings entlang der Loisach

Ein Council of all Beings ist ein Konzept der Tiefenökologie. Die Idee ist, mit Menschen entlang der Loisach Natur-Masken zu basteln und spielerisch die natürlichen Bewohner der Loisach zu erkunden. Durch das Hineinversetzen in Frösche, Schilfgräser oder andere Lebewesen soll allen Altersgruppen ein künstlerischer Zugang zur Verbundenheit mit der Loisach ermöglicht werden. Im Spiel verfliegt zudem die Angst, sich mit dem Thema Naturrechte auseinanderzusetzen, denn im Spiel bin ich nicht ich, sondern ich spiele. Bereits beim Basteln der Masken findet eine Transformation statt. Ich bin gespannt, was daraus entsteht.

Loisach


Nackt baden und die Frage nach der Normalität

Im Anschluss suchten wir uns noch eine schöne Badestelle weiter flussabwärts, welche gut zugänglich war, um uns zu erfrischen. Für uns als Gruppe war klar: Wir hüpfen einfach ohne Klamotten in das Wasser. An dieser Stelle stellten sich uns die Fragen: Ist nackt baden eine Selbstverständlichkeit oder nur in Ausnahmefällen erlaubt? Wo und für wen ist es normal und wo stößt dies auf Ablehnung, Widerstand, Ekel oder menschliche Ängste? Welche Gründe sprechen für oder gegen Freikörperkultur (FKK) und wie ist unser Umgang damit?

An unserem gewählten Zugang zur Loisach hatte sich bereits vor uns eine Gruppe Jugendlicher mit Schlauchboot niedergelassen. Im Laufe unseres Badevergnügens stellten wir fest, dass das bekleidungsfreie Baden für die Jugendlichen nicht als normal galt und dass sie sich davon gestört fühlten. In diesem Fall hatten wir nicht vorab gefragt oder kommuniziert, in wie weit dies für die Gruppe in Ordnung ist. Wir hätten hier proaktiv einen sicheren Raum für beide Seiten schaffen können.

Was würde wohl die Loisach dazu sagen? Fühlen sich nackte menschliche Körper in ihren Armen besser an oder in Badekleidung aus Kunststoffen? Wie viel Sonnencreme und welche Art bekommt der Fluss wohl ab durch menschliche Körper? So schnell werden wir das wohl nicht erfahren. Manche Fragen dürfen auch offen bleiben.

Radtour durchs Murnauer Moos

Am Nachmittag führte uns unsere Radtour durch das Murnauer Moos zum Naturfreundehaus Saulgrub, unserem Zeltplatz für die kommende Nacht. Diese Fahrt war ein absoluter Genuss. Hier verbinden sich großflächig Streuwiesen, Nieder- und Übergangsmoore, Seen und Hochmoore zu Lebensräumen mit vielen seltenen Arten. Einzelne Bäume ragen aus Wiesen empor und bieten eine wunderbare Kulisse vor dem dahinter emporragenden Alpenpanorama.

Murnauer Moos

Moore speichern bis zu 700 Tonnen CO2 pro Hektar und somit sechs mal so viel wie ein Hektar Wald. Das Murnauer Moos ist das größte Alpenrandmoor Mitteleuropas und somit ein wichtiger Klimaschützer. Zudem bietet das Moos Lebensraum für weit über 1.800 Arten. Werden alle Insektenarten einbezogen, sind es wohl mehrere tausend Tierarten. Auch die Flora zeigte sich in ihrer ganzen Pracht mit circa 1.000 Gefäßpflanzen und Farnen. Hinzu kommen rund 100 Moosarten. Weitere Infos finden sich hier: https://www.dasblaueland.de/murnauermoos

Kurz vor unserem Zielort in Saulgrub machten wir noch Halt in einem Café in Bad Kohlgrub. Wir stärkten uns mit Leckereien und ließen den bisherigen Tag Revue passieren. Momente wie diese schweißten uns als kleine Radgruppen zusammen und waren ein essenzieller Teil der Erfahrung.

Tag 4 – Transition-Region Ammer-Loisach

Tag 4 unserer Reise war geprägt von Umbruch, Transition, Transformation und Reinigung: wettertechnisch, thematisch und gesundheitlich. Nachdem uns das Wetter bislang hervorragende Bedingungen für unsere Aktivitäten bot, wurde es an diesem Tag stürmisch und Gewitter und Regen fegten über uns hinweg. Zu Besuch waren wir in der Transition-Region Ammer-Loisach, wo wir in einer Führung durch Andreas und Marlene in die Verbindung von Permakultur, Mikroorganismen und Spiritualität eintauchen durften. Ich, sowie einige weitere Radelnde, waren an diesem Tag gesundheitlich teils erheblich in Mitleidenschaft gezogen, vermutlich durch den Verzehr von Speisen am Vorabend, welche nicht mehr so ganz frisch waren, Hauptübeltäter wohl eine Wassermelone. Das führte dazu, dass unser Begleitfahrzeug zwei mal jeweils circa 50 Kilometer zwischen Bad Kohlgrub und unserem nächsten Zielort, dem Demeterhof „Beim Häbrar“, hin- und herpendelte. 50 Kilometer Fahrrad zu fahren, noch dazu mit zahlreichen Höhenmetern, das wäre für mich an diesem Tag undenkbar gewesen.

Die rund drei Kilometer am Morgen zum SEINZ Biohotel und dem dort ansässigen Verein Transition-Region Ammer-Loisach konnte ich noch selbst „erfahren“. Marlene und Andreas hießen uns willkommen im Namen der Transition-Regionalgruppe.

Im Rahmen der Transition Town Bewegung (übersetzt etwa „Stadt im Wandel“) gestalten seit 2007 Umwelt- und Nachhaltigkeitsinitiativen in vielen Städten und Gemeinden der Welt einen geplanten Übergang in eine postfossile gemeinschaftlich organisierte Gesellschaft und relokalisierte Wirtschaft. Initiiert wurde die Bewegung u. a. von dem britischen Permakulturalisten Rob Hopkins gemeinsam mit seinen Studierenden in Irland. Unter dem Motto „Einfach. Jetzt. Machen!“ erproben Menschen in lokalen Transition Initiativen, wie wir anders und besser leben können.

Marlene machte uns klar, dass es ihr persönliches Anliegen ist, bei der Transition-Region Ammer-Loisach die Verbindung zwischen Spiritualität und praktischem Handeln hochzuhalten. Feinstoffliche Welten, Rückverbindung zu Elementarkräften und Geistwesen, Geomantie – das sind einerseits Welten, mit denen viele Menschen heutzutage überhaupt nichts mehr anfangen können. Andererseits erlebt Marlene, dass viele Menschen in der Region Spiritualität nach wie vor praktizieren, zum Beispiel durch das Vertreiben von bösen Geistern.

Marlene plädiert für eine gesellschaftliche Organisation des „all leadership“, wo jeder Mensch seiner eigenen inneren Führung vertraut und wo jeder Mensch sich seiner Wahr-Nehmung bewusst ist. Die Transition-Region wirkt dabei als Initiator verschiedener Formate, um Menschen regional miteinander zu vernetzen und Vielfalt wachsen zu lassen. Eine dieser Formen ist der Heldenmarkt, auf welchem regionale Möglichkeiten des nachhaltigen Wirtschaftens aufgezeigt werden. Ein anderes Projekt ist der Aufbau einer Akademie des Lebens über eine Stiftung oder regenerative Genossenschaft. In den öffentlichen monatlichen Treffen wird in Kreisrunden die Beziehungskultur gepflegt und es findet ein generationenübergreifender Erfahrungsaustausch statt.

Während wir nach schattigen Plätzen im kleinen Permakulturgarten suchen, erzählt uns Marlene von Effektiven Mikroorganismen (EM), Kompost und Heißrotte. Sie unterscheidet dabei zwischen den aeroben Mikroorganismen, welche vor allem für das Wachstum förderlich sind und den anaeroben Mikroorganismen, welche vermehrt transformierend wirken. Im Kompost finden sich somit vor allem anaerobe Mikroorganismen, als Dünger werden vermehrt aerobe Mikroorganismen eingesetzt. EM sind wahre Wunder – sie können überall im Lebenskreis von Boden-Pflanzen-Tier-Mensch-Luft-Wasser heilend wirken. Die Einsatzfelder scheinen unbegrenzt, vom Garten und der Landwirtschaft über Haushaltsputzmittel, (Natur)schwimmbäder, Kläranlagen, industrielle Prozesse, Baustoffe, Wandfarben bis hin zur Gesundheits- und Körperpflege und Zahnkeramik.

Marlene kommt dabei auf Dr. Elaine Ingham zu sprechen, welche seit vielen Jahrzehnten auf dem Gebiet der Bodenmikrobiologie forscht und sich mit ihrer Soil Food Web School unermüdlich für die Regeneration von Böden einsetzt. Das Soil Food Web kann am besten mit Boden-Nahrungskette übersetzt werden und beschreibt das Zusammenwirken der verschiedenen Organismen und deren Einfluss auf Umwelt, Pflanzen und Tiere. Marlene gibt auch zu bedenken, dass es eine mächtige Agrar- und Düngemittelindustrie gibt, welche derzeit im krassen Gegensatz zu diesen Grundprinzipien handelt und sogar aktiv die Forschung und Verbreitung dieses Natur-Wissens zu verhindern weiß. Neben dieser Industrie ist es auch durch die Gesetzgebung in Deutschland häufig schwer, Initiativen in diesem Bereich voranzutreiben. Sie führt als Beispiel die Komposttoiletten an, welche nicht ohne weiteres überall aufgestellt werden dürfen.

Gegen Mittag ist unsere Führung zu Ende, gerade rechtzeitig, bevor das Gewitter über uns hereinbricht. Dankbar dürfen wir uns in der Jurte auf dem Hotelgelände ins Trockene retten. Während ein Großteil der Truppe sich nach dem starken Regenschauer auf die Räder schwingt und gen Westen radelt, schleppe ich mich zum Begleitfahrzeug und werde mitsamt meinem Fahrrad motorisiert ins Allgäu befördert. Den Rest des Tages verbringe ich dann im Erholmodus auf einer Wiese.

Jurte beim SEINZ, unser Unterschlupf

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Tag 5 – Natur erfahren „Beim Häbrar“, energetisches Kompostieren & Allgäu Vernetzt

Alpenpanorama „Beim Häbrar“ mit der Peakfinder App

Der Demeterhof „Beim Häbrar“, auf dem wir gestern Abend unsere Zelte aufgeschlagen haben, ist ein Betrieb, welcher seit dem 17. Jahrhundert in Familienhand fortgeführt wird. Das Motto der Familie Schmölz, die Milchviehhaltung mit muttergebundener Kälberaufzucht betreibt: „Wir haben den landwirtschaftlichen DEMETER-Betrieb von unseren Vorfahren nicht bekommen, sondern von unseren Nachkommen nur geliehen und möchten ihn im bestmöglichen Zustand weitergeben.“ Von den Hängen und unserer Zeltwiese zeigt sich ein einzigartiger Blick auf die Allgäuer Alpen.

Nach ausreichend Schlaf fühle ich mich zunehmend erholter, die Wassermelone scheint jedoch nach wie vor Auswirkungen hinterlassen zu haben und nun auch noch bei anderen Personen ihr Unwesen in Verdauungstrakt zu treiben. Es ist Schonkost angesagt. Wie schön, dass sich das Verpflegungs- und Kochteam liebevoll um all die Kränkelnden kümmert und seit gestern nicht nur für den Menschen- und Fahrrad-Transport sorgt, sondern auch Kräutertee, Zwieback, Salzgebäck und weitere leichte Kost besorgt und bereitgestellt hat. Auch Arzneimittel werden geteilt. Die am allerersten Tag etablierte Kultur der Fürsorge zeigt ihr volles Entfaltungspotenzial.

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Naturverbindung tiefenökologisch spüren & energetisches Kompostieren

Am Vormittag dürfen wir an einem Naturverbindungs-Workshop von Frederike und Manuel teilnehmen. Die beiden sind angereist, um uns mittels der Tiefenökologie und verwandten Methoden unsere Erdverbindung spüren zu lassen. Dazu finden wir uns als Gruppe am Waldrand ein und versetzen uns individuell hinein in unterschiedliche Teile der Landschaft, dabei ist alles dabei: Von Gebirgskette über einen ruhenden See nach dem Sturm, weichem Moos und Pflanzen unterschiedlicher Art bis hin zum wiederaufgepäppelten Vogel und einem Zelthering, der aus der Erde gezogen wird.

Kompost-Memory

Anschließend suchen wir einen mit Moos bewachsenen Platz im Wald auf, kommen miteinander und der Natur in und um uns herum in Kontakt. Naturmaterialien wie Kiefernzapfen begleiten uns dabei. Schließlich finden wir uns im Kreis auf dem Boden ein, in der Mitte vor uns ausgebreitet: Ein Memory-Spiel mit Bildern von wunderschönen Kompostschalen, ein Ergebnis von Frederikes Masterarbeit zum Thema „composting grief“, also dem Kompostieren von Trauer. Bei unserem folgenden energetischen Kompostier-Prozess geht es darum, spielerisch von Themen Abschied zu nehmen und diese zu transformieren. Dies kann eine tiefe Trauer sein, muss aber nicht. Wir kompostieren sowohl persönliche als auch gesellschaftliche Themen: Ängste, Schmerzen, Menschen und Weltanschauungen, welche uns nicht mehr dienen, den Kapitalismus.

Nachdem alles Wesentliche in der Runde kompostiert wurde, laden uns Frederike und Manuel dazu ein, auf Naturinstrumenten eine gemeinsame Klangkomposition entstehen zu lassen. Beseelt von der Schönheit der Natur, laden wir auf dem Weg zurück zur Zeltwiese Pflanzen ein, uns auf dem weiteren Weg zu begleiten. Frederike und Manuel werden uns noch bis Sulzbrunn begleiten und mit ihren Gaben bereichern.

Naturinstrumente und Kompost-Memory

Allgäu im Wandel

Nach einer stärkenden Brotzeit satteln wir die Räder und machen uns auf den Weg zu unserer bereits letzten Station, der Gemeinschaft Sulzbrunn bei Kempten, wo wir die letzten zwei Nächte verbringen. Wir sind unterwegs mit Joachim, der sich bestens in der Region auskennt, da sein zu Hause direkt auf unserer Strecke liegt. Wir sind eingeladen, einen kurzen Abstecher in seine kleine Oase der Nachhaltigkeit mit Bergblick, zu machen. Dort erzählt uns Joachim von den vielfältigen Aktionen und Projekten des Wandels im Allgäu. Engagiert in zahlreichen Organisationen wie dem Wandelnetzwerk Allgäu FairNetzt, dem Zukunftsbündnis Allgäu und der Allgäuer Regionalgruppe der Gemeinwohl-Ökonomie, gestaltet Joachim die regionale Zukunft tatkräftig mit. Nachhaltigkeit vormachen, statt vorschreiben! Das zeigt sich in all diesen Initiativen, durch das Schaffen von Projektschmieden und Begegnungsräumen.

auf dem Weg durchs Allgäu

Im Dialog kommen wir auch darauf zu sprechen, dass es für jedermensch gar nicht so leicht zu erkennen ist, von welchen Motiven eine Initiative geleitet ist. Denn es gibt auch zahlreiche Bewegungen, die sich nach außen hin als äußerst hipp, ökologisch und sozial darstellen, in denen jedoch ein stark völkisch-rechtes Denken verinnerlicht ist. Weiße Vorherrschaft als Ziel, getarnt mit Ökomotiven. Als regionales Beispiel hierfür wird der MutterHof („Die Bioniere“) genannt. Eine überregionale derartige Orientierung zeigt die in Russland beheimatete Anastasia-Bewegung. Hier ist also Vorsicht geboten. Das Recherchenetzwerk „Allgäu ⇏ rechtsaussen“ bietet hierzu Dokumentation und Analyse der Umtriebe von Rechtsradikalen im Allgäu und den angrenzenden Regionen.

auf Insider-Pfaden durchs Allgäu

Trotz nicht endender spannender Diskussionsthemen setzen wir unsere Tour schließlich fort. Dank unserem lokalen Reiseführer Joachim fahren wir eine Route, welche uns durch Wiesen und Wälder, zu einem Naturlehrpfad und schließlich dem Schwarzenberger Weiher führt. Dort genießen wir eine letzte Erfrischung im Wasser, bevor wir die letzten Kilometer nach Sulzbrunn antreten.

Schwarzenberger Weiher

Am Abend haben wir noch die Möglichkeit, weitere Naturerfahrungen zu machen, an zahlreichen Stationen, welche Frederike und Manuel im Pappelhain von Sulzbrunn platziert haben. Bevor wir in unsere Zelte und den Schlaf gleiten leitet Frederike noch eine somatische Übung an, bei der wir in Paaren die Füße der jeweils anderen Person langsam hin und her bewegen. Wir lassen uns dabei ein auf den Rhythmus der Rückenmarksflüssigkeit, welche in unseren Körpern sehr kontinuierlich pulsiert. Innerhalb kürzester Zeit breitet sich eine wohlige Tiefenentspannung aus.

Vision eines FairNetzten Allgäus

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Weiterführende Links:

Tag 6 – Gemeinschaft Sulzbrunn, Integration, Feiern

Blüten- und Kräutertee

Den Morgen des letzten vollen Gemeinschaftstages begann ich mit einer Tasse Blüten- und Kräutertee. Frederike hatte hierfür ein Buffet aus getöpferten Tassen und eigens gesammelten Kräutern und Blüten aufgebaut. Es bestand die Einladung, eine eigene Teemischung zusammenzustellen aus den Zutaten, die einen besonders anlachen. Zusätzlich sorgte Frederike für die Möglichkeit, ein Gemälde zu kreieren, beim Schlürfen des Tees, zum Beispiel von den im Wasser schwimmenden bunten Pflanzenteil-Konstellationen. Hierfür standen Naturfarben bereit. Eine gelungene Komposition aus Materialien der Natur.

Naturfarben

Nach dem Frühstück starteten wir gemeinsam in den Tag mit einer angeleiteten Nilpferd-Massage. Diese körperliche Erfahrung war eine besondere Freude für all die Gelenke, Muskeln und Körperstellen, die vom Fahrrad fahren verspannt waren. Wir versetzten uns alle gedanklich in Nilpferde, welche sich gegenseitig von teils mehrschichtigen Verkrustungen aus eingetrocknetem Schlamm befreien und Schlammknoten lösen.

Den Vormittag verbrachten wir dann damit, vom Orga-Team Imke und Carla die Finanzen der Fahrradtour und den Ideen3-Verein genauer kennenzulernen. Imke stelle uns die Finanzsituation der diesjährigen Ideen Erfahren Tour im Detail vor, Carla gab uns einen Einblick in die vielfältigen Projekte von Ideen3.

Finanzen der Tour

Die Ideen Erfahren Touren werden ehrenamtlich organisiert. Es ist ein Ziel des Vereins, dass diese unabhängig vom Einkommen für alle Interessierten offen sind. Deshalb werden die Teilnahmebeiträge flexibel und mit einem Ausgleichsprinzip gestaltet. Bereits im Vorfeld der Tour war es daher möglich, einen Beitrag nach dem eigenen Ermessen und je nach Einkommen und finanzieller Situation zu wählen: vom geförderten Platz (250€) über den Standardbeitrag (350€) und Gutverdiener:in (450€), bis hin zur Spitzensponsor:in (550€). Darin enthalten sind unter anderem:

  • 1 Woche Inspiration zu sozial-ökologischem Wandel – Honorare für Stationen, Workshops & Co.
  • 1 Woche Verpflegung (vegetarisch-vegan, wo möglich regional & bio)
  • 6 Übernachtungen (im eigenen Zelt)
  • Gemeinsames Kochequipment, Kartenmaterial etc.
  • Begleitfahrzeug
  • Vorbereitung: Programm- und Routenplanung.
Finanzen der Tour

Imke zeigte uns transparent auf, was es braucht, um die Tour zu finanzieren. Alle bisherigen Ausgaben wurden in ihrer angefallenen Höhe benannt und der Einnahmenseite gegenübergestellt. Der „goldene Radfahrtopf“ an Einnahmen wurde dabei größtenteils von den Teilnahme-Beiträgen gestemmt. Theoretisch existiert auch noch ein Fördertopf des Ideen3-Vereins, welcher angezapft werden kann, falls die Ausgaben über den Einnahmen liegen sollten. Da dieser Topf jedoch als Sicherheit dient, dass auch künftige Radtouren organisiert werden können, sollte er nur im Notfall angetastet werden.

Damit wurde klar, dass es wünschenswert ist, wenn noch ein paar Einnahmen zusammenkommen. Einerseits, um all den Menschen, die wir bislang besucht haben und die Führungen für uns angeboten haben, einen angemessenen energetischen Ausgleich in Form einer finanziellen Wertschätzung übermitteln zu können. Denn viele dieser Menschen haben uns sehr viel Vertrauen entgegengebracht mit der Haltung „schaut’s halt einfach am Ende eurer Tour, wie viel ihr geben könnt“. Andererseits waren wir uns in der Gruppe ebenso einig, dass auch unser Orga-Team eine angemessene Aufwandsentschädigung erhalten sollte für die vielen Stunden an Vorbereitung, welche zu dieser gelungenen Tour geführt haben.

Es kam die Idee auf, hierfür eine nachträgliche Bieterrunde durchzuführen, um noch ein wenig Geld in die Tour-Kasse zu spülen. Diese Art von solidarischem Finanzieren ist im Bereich der Solidarischen Landwirtschaften (SoLaWis) sehr verbreitet. Es ist eine heilsame Form im Umgang mit Geld, ein Leben des Gemeingüter-Prinzips, bei dem von der Fülle her gedacht wird, zugleich gemeinschaftlich und doch anonym. Allerdings haben wir die Bieterrunde zeitlich nicht mehr im Tagesprogramm untergebracht. Ich habe mich daher dazu entschieden, den goldenen Topf unabhängig davon mit einer Spende aufzustocken – und zusätzlich, Mitglied zu werden im Ideen³-Verein, denn: Die Ideen Erfahren Tour 2024 war so wundervoll – jeder Mensch sollte die Möglichkeit bekommen für solch ein Erlebnis!

Der Verein Ideen³ // Räume für Entwicklung

Seit 2009 gestaltet Ideen³ als gemeinnütziger Verein Räume für Entwicklung, in denen Menschen einander begegnen, Ideen erleben und Zukunft gestalten können. Mit den vielfältigen Initiativen und Projekten werden soziale, ökologische und ökonomische Ideen für eine lebenswerte Zukunft erlebbar gemacht. Die Angebote richten sich an Menschen aus Unternehmen, Politik und Zivilgesellschaft, die sich persönlich entwickeln und die Welt aktiv mitgestalten möchten.

Die bekanntesten Projekte sind die (fast) jährliche Zukunfts-Radtour „Ideen erfahren“, Tage der Ideen, die Karte von morgen, die Wander- und Berufungscoachings, die offenen Kulturjurten in München und Leipzig sowie die entwicklungspolitischen Workshops und Aktionen der Ideenwerkstatt Bildungsagenten.

Der Verein ist und war stets ein Initiationskeim für neue Ideen. So haben sich unter anderem zahlreiche Spin-off-Radtouren aus der „Ideen erfahren“ Tour entwickelt. So gab es schon themenspezifische Radtouren wie „Geschichte Erfahren“, „Gemeinschaft Erfahren“ und im vergangenen Jahr die „AgrikulTour 2023 – eine regenerative Radreise“. Aber es gibt auch ganz andere Art von Zukunftsprojekten.

Ein großer Erfolg ist die „Karte von morgen“. Hier zeigen Menschen, die Gutes tun wollen, wo es Gutes gibt: Fairer Handel, Biohöfe, offene Werkstätten, Gemeinwohl-Ökonomie, freie Bildungsinitiativen und natürlich visionäre Lebensgemeinschaften sind erste Beispiele dieser Welt von morgen. All das und noch viel mehr lassen sich auf der Karte finden. Deutschlandweit ist die digitale Kartevonmorgen.org als Orientierungshilfe für einen klimaentlastenden Lebensstil bekannt. In vielen Orten gibt es die Karte zusätzlich bereits auch in gedruckter Form als nachhaltigen Stadtplan, Verzeichnis der Wandel-Initiativen oder als regionalen Einkaufsführer.

Weiterführende Links:

Kompost der Ideen

Bei ihren Recherchen für die Tourplanung sind Carla und Imke auf viele weitere spannende Initiativen gestoßen, welche im Alpenvorland besucht werden können. Einige dieser engagierten Menschen waren – zurecht – im Urlaub und daher in dem gewählten Zeitraum unserer Tour nicht greifbar. Ohnehin war unser Wochenprogramm gut gefüllt und äußerst abwechslungsreich. Es gibt also noch einen Puffer mit Besuchsorten für die Zukunft. Hier nur eine kleine Auswahl:

  • Augsburg: mehr*kollektiv – ein Kollektiv für queerfeministische Kunst & Kultur! https://www.mehr-kollektiv.de/
  • Kaufbeuren: Architektur-Kollektiv supertecture und 2upertecture (Akademie, Netzwerk, Think-Tank und Möglichmacher für radikal zirkuläre Architektur im „Entwicklungsland“ Deutschland) https://www.supertecture.com/
  • Tettnang-Obereisenbach: Vaude – Produzent von Outdoor-Bekleidung sowie -Ausrüstung, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl in der Praxis https://www.vaude.com/de/de/
  • Baierbrunn: Tiny PopUp München, erlebbare Lösungen zu Tiny Living, sowie bezahlbarem und ökologischem Wohnen https://tinypopup.de/tiny-house-muenchen/

Viele weitere mögliche Initiativen, welche einen Besuch wert sind, lassen sich unter anderem auf der kartevonmorgen finden.

Gemeinschaft Sulzbrunn


Wegweiser in der Gemeinschaft Sulzbrunn

Unser letzter Wandelort, an dem wir Station machten, war in vielerlei Hinsicht eine Inspiration. Ich selbst hatte hier bereits einige Wochen zuvor an einem Gemeinschafts-Wochenende teilgenommen und somit viel über diesen Lebens- und Schaffensort erfahren. Sulzbrunn ist eine ökologisch lebende Gemeinschaft im Allgäu mit rund 50 Erwachsenen, 20 Kindern, vielen Tieren und Pflanzen und jeder Menge Ideen. Christian, Matthias und Fabienne gaben uns eine Führung über das Gelände der Gemeinschaft. Sie machen dabei auch auf das Spannungsverhältnis aufmerksam zwischen dem Seminarhausbetrieb, der eigenen Landwirtschaft, Privatsphäre und Gemeinschaftsräumen und -flächen.

Menschen sind hierhergezogen aus unterschiedlichen Motivationsgründen, für eine intensive Persönlichkeitsentwicklung in Gruppenprozessen – oder für Dorfklatsch, gemeinsam ackern und leben. Auch das Ausprobieren von Leben in Gemeinschaft auf Zeit ist hier möglich. Eine ganze Weile verbringen wir vor dem Gebäude „Villa Damai“. Hier wohnen zahlreiche Menschen, die bis zu 12 Monate schnuppern möchten, wie es sich hier in Sulzbrunn lebt. Dabei gehen sie den Fragen nach: Was will ich? Was möchte ich in die Welt tragen?

Der Seminarbetrieb von Sulzbrunn bietet eine große Variation unterschiedlichster Angebote. Dies reicht von Ecstatic-Wave Tanzabenden über Bondingtherapie und Demokratische Systemaufstellungen bis hin zu Traumaintegration-Retreats. Auch Trauern in Gemeinschaft ist ein Angebot, es gibt Gasthelfer*innentage, Ölrituale und Kurse rund um Permakultur und Wasserretention.

Die Gemeinschaft Sulzbrunn möchte dabei in die Umgebung hineinwirken und gemeinsam mit umliegenden Gemeinden und der dortigen Politik zusammen wirksam sein. Die Vision: „Wir leben in Sulzbrunn in Vielfalt und Verbundenheit mit einander und mit der Natur und erforschen sorgsam neue Wege. Wir übernehmen Verantwortung für die Herausforderungen unserer Zeit und gestalten einen zukunftsfähigen Lebensraum, von dem aus wir in die Welt hinein wirken.“

https://sulzbrunn.org/

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Abschlussritual

Buffett am Abschlussabend

Am Nachmittag begeben wir uns auf eine gemeinsame Integrationsreise der Erlebnisse der letzten sechs Tage. Wir lauschen einer Rückschau und Durchleben die Stationen und Etappen noch einmal. Dann werden wir dazu eingeladen, uns den vier Jahreszeiten und deren jeweiligen Qualitäten zuzuordnen. Wie fühlen wir uns nach dieser Woche? Frühlingshaft inspiriert, sommerlich und voller Energie und Tatendrang, dankbar erfüllt und herbstlich kompostierend, oder nach winterlicher Verschnaufzeit und Ruhe strebend? In Paaren tauschen wir uns darüber aus. Dann bilden wir zu zweit menschliche Statuen, welche unsere Empfindungen abbilden und fließen als Gruppe von Statue zu Statue. Schließlich bewegen wir uns im Zirkuszelt durch den Raum und gehen in angeleitete Begegnungen per Augenkontakt, stets auf unterschiedliche Qualitäten im Gegenüber achtend.

Festmahl

Zum Festabend wird nochmals groß aufgekocht. Wir schnippeln fleißig Gemüse, genießen das hervorragende Wetter, entspannen in Hängematten und feiern am Abend bis spät in die Nacht am Lagerfeuer und unter dem Sternenhimmel unsere gemeinsame Reise und das Leben.

Feierabend, Lagerfeuer, Hängematten

Tag 7 – Abschied, Abreise

Heute ist der Tag des Abschiednehmens. Wir feiern noch ein Geburtstagskind, eine große Freude für alle. Auf einer Feedbacktafel hinterlassen wir Wertschätzung und Verbesserungsvorschläge für das Orga-Team. Reihum lesen wir den Text des Danksagungsrituals der Haudenosaunee, einem Zusammenschluss nordamerikanischer indigener Bevölkerungsgruppen. Der Text findet sich im Buch „Geflochtenes Süßgras – die Weisheit der Pflanzen“ von Robin Wall Kimmerer.

Heute haben wir uns versammelt und wenn wir in die Runde der Gesichter blicken, sehen wir, dass die Lebenskreise weitergehen. Uns wurde die Pflicht gegeben, im Einklang miteinander und mit allen Lebewesen zu leben. Lasst uns nun unsere Seelen zusammenbringen, wenn wir einander als ein Volk Gruß und Dank entrichten. Unsere Seelen sind nun vereint.“

Fasziniert von den weisen Worten erkennen wir, wie gut die Textpassagen zu den Menschen passen, die diese vorlesen. Zufall?

Eine besondere Art der Wertschätzung kann sich jede:r von uns noch mit nach Hause nehmen: Denn die letzten beiden Tage konnten wir Botschaften schreiben und malen und diese in beschriftete Briefumschläge für unsere Mitreisenden stecken. Eine liebevolle Art und Weise, Dankbarkeit und persönliche Anliegen sowohl alten Freund:innen als auch neuen Bekanntschaften mit auf den weiteren Weg zu geben. Mit Freude und Vorfreude packe ich meinen Briefumschlag ein, um ihn zu einem späteren Zeitpunkt zu öffnen.

Gesungen haben wir immer wieder auf unserer gemeinsamen Reise. Am Tag es Abschieds singen wir noch einen ganz besonderen Song: „Learn to Live“, zunächst gemeinsam, dann im Kanon. Das Lied bleibt im Ohr und begleitet mich auf meiner weiteren Lebensreise.


Learn to live your life with all your heart
And all your soul and all your mind
And love all human kind as you would love yourself

Learn to live your life
With all your heart
And all your soul and mind and love all human kind

We’ve got happy lives to live
We’ve got open arms to give
We’ve got hope down deep inside
Because in love we do reside

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