Ideen³-Wintertreffen 2014 – Ein Bericht von Sascha Bilert
„Ideen hoch drei? Dieser Verein mit weiß grüner Website?“ Ich erinnerte mich, dass ich schon mehrmals auf der Homepage war. Und jedes Mal hatte ich mich danach geärgert. Tolle Seite, tolle Bilder, tolle Texte. Und was machen die jetzt eigentlich? Kein Plan. Jedes Mal. Kein Plan. Also Sachen gepackt und Bücher mitgenommen. Jede Menge Bücher. Wer weiß was für ein Verein das ist? Zur Not gibt’s anregende Lektüre.
WAS MACHE ICH AN SYLVESTER?
Schlüssel rein, Automotor läuft, 200 Km, Unterlengenhardt, angekommen. Verschneiter Ort. Rein ins Seminarhaus, alles aus Holz, riesige Decken, viel Platz. Ein Stuhlkreis für 40 Menschen steht bereit, langsam füllt sich der Raum, es gibt Tee, Kekse, Kaffee, Wollsocken dominieren den Boden, selbstgestrickte Schals den Hals. Es ist mollig warm. Was auffällt: die Leute drücken sich extrem lange, jeder scheint den anderen zu streicheln, zu berühren…statt Handshake wird hier lange umarmt. Jemand legt mir sanft seine Hand in den Nacken, ich zucke zurück und gehe die Bücher durch die ich eingepackt habe…. In manchen Kulturen ginge das als Fremdgehen durch. Vielleicht kennen die sich schon alle?
DER SCHAMANE, DER PRIESTER UND DER GURU
Es fängt an. Ein Bärtiger mit freundlichem Blick ergreift das Wort, sagt aber nur, dass wir zu Anfang singen und stimmt ein Lied an. Dan-Felix. 40 Kehlen singen ihm nach, es entsteht sofort eine gemeinsame Atmosphäre… etwas was uns alle verbindet… danach… Stille. Plötzlich läuft ein Kleinkind durch den Innenkreis, läuft zu den Kerzen, die in der Mitte stehen und wieder zurück. Unklar woher es gekommen ist, unklar wohin es will. Wahrscheinlich der jüngste Teilnehmer des Seminars. Noch unvertraut mit den üblichen Ritualen hier. Ich sympathisiere mit ihm. Was folgt hätte wohl auch das Kleinkind baff gemacht. Wenn es sprechen könnte…
DER SCHAMANE SCHWINGT DEN STAB
Am anderen Ende des Stuhlkreises nimmt jemand einen großen, dicken, langen Stab in die Hand und erklärt, er würde die Veranstaltung moderieren. Peter. Dies sei ein schamanischer Ritus. Er würde ihn halten, wenn er spricht und ansonsten zusammen mit Eraldo durch die Veranstaltung führen. Eraldo. Lange lockige Haare, einen Bunten südamerikanisch aussehenden Beinrock tragend. Er hat etwas von einem Guru. Peter erklärt wir würden im Kreis sitzen, wenn wir sprechen wollten sollten wir einen Gegenstand aus der Mitte nehmen: eine Feder, einen Kristall, oder eine Wurzel. Dann würde diese weitergegeben. Wir sollten vom Herzen sprechen. Die Teilnehmer stellen sich vor, jemand aus der Runde erklärt er habe im Haus einen schönen Platz entdeckt wo man sich auch gegenseitig massieren könne, z.B. tantrisch, Massageöl habe er ausgelegt.
Am ersten Abend liege ich in meinem Bett und fasse meine Lage zusammen: Ich bin mitten im nirgendwo, eingeschneit, die Zufahrtsstraßen wahrscheinlich nicht befahrbar. Ein Schamane leitet unsere Sitzungen. Er hat einen Redestab. Wer sprechen möchte soll Feder, Kristall oder Wurzel in die Hand nehmen. In meiner Umgebung berühren sich ständig alle und in irgendeiner dunklen Ecke wird massiert. Tantrisch. Ich muss etwas auf der Homepage überlesen haben.
DIE KACKE FÄNGT ZU DAMPFEN AN
Auch am nächsten Tag fühle ich mich mehr als Beobachter denn als Teilnehmer. Redekreis, alle wirken zufrieden, jeder scheint im reinen mit sich zu sein. Nur mir scheint diese Form gerade nicht zu passen, keine rechte Stimmung aufzukommen. Ich fühle mich nicht als Teil dieser Großgruppe. Und nach Lesen ist mir auch nicht. Wütend. Enttäuscht. Innerer Kritiker. Dann Kleingruppenarbeit. Zu viert. Ich warte ab und höre zu. Positive Gefühle, Zufriedenheit, Ausgeglichenheit auf Ihren Lippen, ein Lächeln im Gesicht. Jetz‘ is‘ aber Schluss mit witzig. Mund auf: Mir passt die Orga nicht, meine Stimmung ist nicht gut und ich habe viel zu kritisieren. Dammbruch. Vielleicht bin ich doch nicht allein?
BLOCKBUSTER OHNE FERNSEHEN. KRASS.
Am Abend treffen wir uns nochmal. Etwas ist anders. Wir haben uns über den Tag bewegt, reflektiert, wir haben unser Jahr mit anderen geteilt, sie haben uns einen Spiegel vorgehalten, wir haben open space workshops gestaltet, ja, auch Tantra wurde angeboten, genauso wie Diskurse für den Kopf, musisches fürs Herz und Kreatives für die Hand. Zahlreiche spannender Projekte und Initiativen aus dem ganzen Land wurden vorgestellt und nun ist etwas anders. Geworden. Als wir im Redekreis zusammenkommen teilen wir unsere offenen Gefühle und Gedanken, Zweifel, Ängste, Ansichten, lustigen Begegnungen und wir alle merken: Wir sind nicht allein. Wir sind eine Gemeinschaft. Von Teilgebern. Es gibt keine Zuschauer mehr. Spannender als Jeder Spielfilm hören wir uns zu, unsere Geschichten, unsere Erlebnisse, die Intensität ist greifbar. Auch an den folgenden Tagen.
JEDEM ANFANG WOHNT EIN ZAUBER INNE
An Neujahr pfeifen wir auf den Countdown, lassen stattdessen einen besonderen Moment am Feuer entstehen, wandern zu vierzigst mit einer Fackel nachts durch den Schnee und führen berührende Gespräche. Habe ich also etwas überlesen? Woher kommt der Wandel? Warum habe ich auch nach mehrmaligem Lesen nicht verstehen können worum es hier geht? Und weshalb klingt die Geschichte in der Nacherzählung nach einem guten Witz: Treffen sich ein Priester ein Schamane und ein Guru…? Manche Erlebnisse lassen sich nicht über eine Website transportieren. Vielleicht kann man manches erst nachfühlen, wenn man es erlebt hat. Manchmal muss man dafür 200 km fahren, in einen verschneiten Ort. Beim nächsten mal vielleicht auch mehr, oder weniger. Vielleicht gibt es dann auch keine Schamanen, Gurus und Priester mehr, vielleicht eine andere Form des Redekreises. Wer aber offen bleibt, erlebt eine einzigartige Zeit mit sich selbst und eine starke menschliche Gemeinschaft. Jedenfalls hatte ich viel zu viel Literatur eingepackt. Aber ein paar Seiten doch durchbekommen. In den ersten 2 Tagen.